„Wer hat Angst vor dem effizienten Markt?“
Die verkehrte Welt der Finanzindustrie
Ein hungriger Kunde kommt in eine reich bestückte Bäckerei und bestellt ein Brötchen. Die Backwarenfachverkäuferin bedankt sich für das Vertrauen und stellt dem Kunden 36 Rückfragen. Sie erklärt, dass sie dem Wunsch gerne nachkommen möchte. Aber frühestens in sechs Wochen, und auch nur vielleicht. Mit Blick auf die anstehenden Schulferien sollte man sich besser schon mal auf zehn Wochen einstellen. Und auch wirklich nur vielleicht.
Warum ist die Finanzindustrie so ganz anders als andere Branchen?
Aus der Ferne betrachtet, wirkt die Finanzindustrie wie eine Erscheinung aus dem Paralleluniversum. Während im Rest der freien Wirtschaft üblicherweise der Kunde den Anbieter bezahlt, findet in der verkehrten Welt der Finanzindustrie zunächst einmal das Gegenteil statt. Der Kunde stellt sich in die Schlange, und wenn er zur Kasse kommt, greift er quasi hinein. Über nahezu die gesamte Vertragsbeziehung hat der Kunde deshalb mehr Geld vom Anbieter erhalten als andersherum. Und manchmal eben auch darüber hinaus.
Diese Umkehrung reduziert die sonst bei Brötchen, Anwaltsstunden und Explorationsrechten üblichen Verteilungsmechanismen „first-come-first-serve” und „höchstes Gebot” auf Nebenaspekte. Die Kapitalgeber interessieren sich mehr für den Zeitpunkt, an dem der Kunde mit dem Geld zurückkommt, und ob und wann mit diesem Zeitpunkt zu rechnen ist. Diese Frage ist schwer zu beantworten, wirft eine Vielzahl von Unterfragen auf, und führt gelegentlich dazu, dass ein Kunde in einer reich bestückten Bäckerei verhungert.
Die Brötchen im Heuhaufen finden
Die Geschichte unseres Kunden beginnt natürlich etwas früher. Wir wissen nicht, wie lange er schon hungrig auf der Suche nach einem Bäcker durch die Straßen zieht. Das Erstgespräch mit der Backwarenfachverkäuferin ist für ihn also bereits ein Teilerfolg, von welchem er seinen Geschäftspartnern berichtet. Erkannt hat er die Bäckerei vermutlich anhand ihres Ladenschildes. Ladenschilder sind die Low-Tech-Lösung unter den Suchhilfen. Ich muss noch immer Straße für Straße ablaufen, aber nicht mehr Haus für Haus durchsuchen.
Schwierig wird es allerdings, wenn auf diesem Schild zum Beispiel „Bank“ steht, denn das bedeutet für uns erstmal garnichts und ist so, wie wenn sich Bäcker, Metzger und Fischhändler mit dem Überbegriff „Lebensmittel“ zufriedengeben würden.
Wer Brötchen kaufen möchte, muss den Bäcker finden, spaziert dann auf gut Glück aber vermutlich zunächst in die eine oder andere Metzgerei. Davon hat eigentlich weder der Brötchenkäufer noch der Metzger irgendetwas. Wer die Bäckerei dann einmal gefunden hat, wird schnell zum treuesten Kunden, da die Suche nach der nächsten Alternative vermutlich wieder über den einen oder anderen Metzger führen würde.
Wer keine Brötchen sucht sondern eine 60%-Finanzierung für Mehrfamilienhäuser an A-Standorten mag diese Darstellung für übertrieben halten. Benötigt man hingegen Whole-Loans für Einzelhandelsentwicklungen, erkennt man sich vielleicht wieder.
Wahrscheinlich sind die Kriterien eines Finanzierers für ein ansprechendes Ladenschild zu langatmig, aber sie lassen sich doch zumeist in relativ wenigen Kategorien standardisiert zusammenfassen. Und was standardisiert erfasst ist, kann digital mit Anfragen abgeglichen werden.
Ob Logistikimmobilien in Süddeutschland finanziert werden oder die Baugenehmigung Auszahlungsvoraussetzung ist, kann ein Banker also auch in Zukunft jedem Interessenten einzeln über das Telefon oder im Meeting erklären, wenn er möchte. Notwendig ist es nicht.
Was ist ein effizienter Markt und können wir uns das überhaupt leisten?
Ein effizienter Markt bringt Angebot und Nachfrage ins Gleichgewicht. Er sorgt für eine effiziente Ressourcenallokation und stellt das volkswirtschaftliche Optimum dar. Die Frage ist also nicht ernsthaft, ob wir einen effizienten Markt wollen, sondern wie wir ihn bekommen. Und die Antwort ist einfach: die Effizienz steigt mit der Geschwindigkeit, in der Informationen ausgetauscht und verarbeitet werden.
Nehmen wir als Beispiel ein Pflegeheimprojekt in einer strukturschwachen Gegend Deutschlands. Die Heimplätze werden benötigt, das Projekt ist wirtschaftlich sinnvoll, die lokale Volksbank unterstützt das Vorhaben, aber es fehlt eine Mezzanine-Tranche.
In einem ineffizienten Markt…
- wendet sich der Entwickler an die Handvoll Standardadressen in Sachen Mezzanine.
- erhält er eine Absage mit Verweis auf die Makrolage.
- wird das Projekt nicht realisiert.
In einem effizienten Markt…
- findet der Entwickler einen versteckten Pflegeheimspezialisten, der das Projekt finanziert.
- verdient der Entwickler seine Projektmarge und kann seine Angestellten bezahlen.
- erhält der Pflegeheimspezialist eine Gewinnbeteiligung und kann seine Angestellten bezahlen.
- erhalten örtliche Pflegepatienten einen Pflegeplatz nahe ihres Wohnortes.
Heile Welt. Und die Verfügbarkeit von Informationen macht den Unterschied. Es ist nicht immer die große Frage „bauen oder nicht bauen”. Oft reicht es unter mehreren Interessenten den mit der größten Begeisterung, und damit der schnelleren Bearbeitung, der geringeren Besicherung und den niedrigeren Zinsen zu finden. Den richtigen Partner also, den man nicht gegen Vorbehalte in ein Projekt hineinzwingen muss. Auch hier gewinnen alle Parteien.
Endspurt auf dem langen Weg zur Effizienz
Wie steigert man die Effizienz des Informationsaustauschs? In der Vergangenheit gab es nur eine Antwort: Durch Nähe. Wo Angebot und Nachfrage in Ruf- und Sichtweite aufeinandertreffen, braucht es zur Orientierung kein BWL-Studium. So entstand der Marktplatz. Waren sich die Zeitgenossen dieses enormen volkswirtschaftlichen Effizienztreibers bewusst? Gegenfrage: Ist der Marktplatz das Herz jeder Altstadt?
Marktplätze eigneten sich für den Handel mit Karotten, Fisch und Eiern – einfachen Produkten mit kurzen Transaktionszeiten. Finanzierungen sind das Gegenteil. Warum also sollte sich ein Banker dazustellen? Networking schadet nie, aber wo der Gemüsehändler abends Münzen zählt, zählt der Banker bestenfalls Visitenkarten.
Noch heute fällt deshalb oft das Argument, dass gewerbliche Finanzierungen für den Marktplatz zu komplex seien. Dass man diese Komplexität mit einer Mischung aus Standardisierung und Pragmatismus überwinden kann, beweist jedoch bereits die Existenz des Pfandbriefes. Und den gibt es seit 1769. Seither sind zumindest Teile von Immobiliendarlehen marktfähig.
Heute, über 250 Jahre später hat das Internet alle physischen Hürden des Informationsaustauschs eingerissen. Die Branche ist davon nahezu unverändert geblieben und hat in der Technologie bislang in erster Linie einen kostenlosen Ersatz für das Fax gefunden. Noch immer geht die Kommunikation von Punkt zu Punkt. Noch immer werden Informationen wie Finanzierungskriterien tausendfach in Einzelabfrage gesammelt, um dann im Kurzzeitgedächtnis oder in privaten Excel-Listen wieder zu verschwinden.
Wie also steigert man die Effizienz des Informationsaustauschs heute? Indem man den Fokus von der mündlichen Wiederholung von Informationen auf deren standardisierte Erfassung verschiebt. So entfesselt man die Leistungsfähigkeit der elektronischen Datenverarbeitung – und dieses Ziel verfolgt unsere Kapitalsuchmaschine.
Ein Blick in die Glaskugel – Wie neue Informationsflüsse den Finanzierungsmarkt verändern
Wir kommen zum spekulativen Teil. Was bedeutet das für den Finanzierungsmarkt der Zukunft?
Der größte Informationsbedarf besteht vor Aufnahme einer Geschäftsbeziehung. Zu diesem Zeitpunkt wissen die künftigen Partner oft wenig mehr als den Namen des Gegenübers. Oder sie sitzen noch alleine am Tisch und wissen nichtmals, ob ein geeigneter Partner überhaupt existiert. In dieser frühen Phase der Ratlosigkeit orientiert sich der Geldsuchende bislang an Kontakten und Empfehlungen.
“Sprich mal mit Bank XY, mit denen habe ich letztes Jahr auch ein Hotel in der Region finanziert” .
So beginnen viele Neukundenbeziehungen. Wird das so bleiben, wenn ich alle Finanzierer auf dem Smartphone finden kann, während ich auf den Aufzug warte? Vermutlich nicht. Der beste Partner könnte weit außerhalb des eigenen Netzwerks warten und (neuerdings) trotzdem sofort gefunden werden.
Insgesamt sehen wir fünf entscheidende Entwicklungen voraus, welche wir hier vorsichtig als Hypothesen zusammenfassen:
Hypothese 1:
Der Finanzierungsprozess wird kürzer. Der Finanzierungsprozess besteht zu fast 100% aus dem Austausch und der Verarbeitung von Informationen. Vor allem aber ist es ein Denkfehler, die Stoppuhr erst bei Einreichung der Finanzierungsanfrage beim Kapitalgeber zu starten. Der Finanzierungsprozess beginnt in der Sekunde, in der der Kapitalbedarf entsteht. Die Zeit, die bei der Identifikation des Kapitalgebers gespart werden kann, verkürzt somit den Prozess als ganzes.
Hypothese 2:
Das Netzwerk verliert für das Matchmaking an Bedeutung. Das liest sich mit etwas Wehmut, aber es sind gute Nachrichten. Denn im Umkehrschluss erweitert das digitale Matchmaking mein Netzwerk gezielt um für mich besonders wertvolle Kontakte. Das Netzwerk wird also gestärkt, nicht geschwächt. Es wird dabei lediglich von Aufgaben entlastet, die auf anderem Wege besser zu lösen sind.
Hypothese 3:
Die sofortige Sichtbarkeit bei der Zielgruppe senkt die Eintrittsbarrieren in neue Finanzierungsmärkte. Bis sich heutzutage herumgesprochen hat, dass eine Privatbank neuerdings Logistikimmobilien finanziert, ist viel Zeit oder Geld verflossen. Eine digitale Plattform vollzieht den Strategiewechsel in Sekunden. Eine Volksbank möchte ihre Einzelhandelsallokation nicht weiter ausbauen? Noch am selben Tag kann eine andere Bank als regionaler Anbieter dieser Nutzungsklasse einspringen. Diese Art der Digitalisierung ermöglicht eine Effizienz, welche im aktuellen Markt der stillen Post kaum vorstellbar erscheint.
Hypothese 4:
Wir erwarten eine zunehmende Spezialisierung der Kapitalgeber. Natürlich machen die knapp 1.700 Banken in Deutschland schon heute sehr unterschiedliche Sachen, oder zumindest in sehr unterschiedlichen Teilen des Landes. Besteht aber erst einmal die Möglichkeit, deutschlandweit eine spezialisierte, wenn auch fragmentierte Zielgruppe zu erreichen, Bestandshalter von mittelständischen Produktionsimmobilien zum Beispiel, so wird wohl auch diese Nische durch den einen oder anderen Spezialisten besetzt werden.
Hypothese 5:
Die zunehmende Spezialisierung wird Marktlücken schließen. Wir sehen immer wieder Projekte, die wirtschaftlich überzeugend und trotzdem schwer finanzierbar sind. Ein transparenter Markt kann diese weißen Flecken auf der Landkarte aufzeigen und erlaubt es Kapitalgebern, sich hier gezielt zu engagieren.
Gewinner und Verlierer
Bei der Ankündigung technischer Veränderungen ist es üblich, in Gewinner und Verlierer aufzuteilen. „Wer hat Angst vor dem effizienten Markt?” möchte man fragen, und einfach mal sehen, wer das offen zugeben würde.
Im Verdacht stehen hier natürlich zunächst die Finanzierungsberater und Vermittler, die bisherigen Wegweiser im schilderlosen Finanzierungswald. Dazu gehören wir selber. Ein professioneller Vermittler ist aber weit mehr als nur ein Adressbuch. Er hat in der Regel viel mehr Strukturierungserfahrung als seine Kunden, erkennt in Darlehensverträgen und ICAs Risiken wo andere nur Textbausteine sehen und kann bei Konditionsverhandlungen mit aktuellen Referenzwerten und Marktpraktiken argumentieren. Wer das liefern kann, kann wohl genau so weitermachen.
Und die eingesessenen Finanzierer? Sind sinkende Eintrittsbarrieren schlechte Nachrichten für seit Jahren etablierte Crowdfunder und seit Jahrhunderten etablierte Privatbanken? Wohl auch nicht. Zum einen stehen die meisten Institute schon heute in einem belebenden Wettbewerb mit dem einen oder anderen Konkurrenten. Es wird also niemand um sein Monopol fürchten müssen. Im Gegenteil bietet ein transparenterer Markt die Chance, den eigenen Sweet-Spot auszubauen und halbherziges Beigeschäft gezielt anderen zu überlassen. Zum anderen sind Kunden auch in einem übersichtlichen Markt träge und werden bekannten Anbietern nicht ohne guten Grund den Rücken kehren.
Das sind soweit alles recht gute Nachrichten für die Unternehmen. Aber was passiert innerhalb der Unternehmen? Ersetzt die Automatisierung den bestehenden Vertriebsapparat und macht ganze Abteilungen überflüssig? Im Gegenteil. Wir glauben, dass die Effektivität und damit der Wert der Kundenberater und Akquisiteure zunimmt. Wer weniger Zeit damit verbringt zu erklären, dass für Logistikimmobilien in Süddeutschland kein Platz im Portfolio ist, hat mehr Zeit für die Bedürfnisse der eigentlichen Kunden. Der Fokus verschiebt sich also von Kunden finden zu Kunden binden.
Ganz ohne Verlierer wird es jedoch nicht gehen. Finanzierer, deren Marktposition sich eher auf einen erstklassigen Vertriebsapparat begründet als auf erstklassige Finanzierungsangebote werden Probleme haben, diesen Vorteil langfristig auszuspielen. Selbiges gilt für Finanzierungsberater, welche eher vermittelnd als beratend tätig sind.
Fazit
Der gewerbliche Immobilienfinanzieriungsmarkt hat sich bislang nicht als Pionier des digitalen Aufbruchs verdächtig gemacht. Man könnte sich vorstellen, dass die Erfinder des Pfandbriefes ohne große Fortbildung auch in heutigen Banken gut zurecht kämen, wenn sie den Regulierungsschock einmal überwunden haben. Wirklich neue Entwicklungen wie die Crowdfundingplattformen sind die große Ausnahme.
Doch aufgeschoben ist nicht aufgehoben und unsere Kapitalsuchmaschine ist beileibe nicht die einzige Initiative, welche das Potential der elektronischen Datenverarbeitung endlich auf die Straße bringen will. Der Aufbruch zur digitalisierten Finanzindustrie wird kein Massenstart. Das ist auch nicht nötig. Es ist vollkommen ausreichend, wenn einige Vertreter vorlegen und mit guten Erfahrungen oder wachsenden Marktanteilen zurückkehren. Wer heute glaubt, das beträfe ihn alles nicht, schaut von der Seitenlinie zu solange er möchte.
Leider ist Verbesserung immer mit Überwindung verbunden. Excel steigert meine Effizienz bei der Datenanalyse ins Unermessliche – sofern ich mich nicht vorher von Pivot-Tabellen und geschweiften Klammern abschrecken lasse. Für diese Überwindung von Vorbehalten möchte ich hier werben um der digitalisierten Finanzindustrie und dem effizienten Markt eine echte Chance zu geben.
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